(Blog) Erinnern Sie sich an den Riesen „Tur Tur“ aus den Abenteuern von Jim Knopf von Michael Ende? Als Jim ihn von der Ferne sieht, scheint er riesengroß und furchteinflößend. Doch je näher er ihm kommt, desto kleiner wird der Riese, geradezu ein bisschen hilflos. Ich behaupte: Alle, die ernsthaft krank waren oder sind, haben Angst. Gesundheitsfördernd ist das sicher nicht …
Angst, dass die Krankheit wiederkommt, Angst vor deren Fortschreiten, Angst vor Chemo oder Operation, Angst vor Kontrollen, Angst, Angst, Angst. Doch Angst, sagt der Arzt und Pionier der „Körper-Geist-Medizin“ („Mind Body Medicine“) Deepak Chopra, ist Gift für die Seele und damit auch für den Körper. Und das wollen wir Patienten doch gerade vermeiden. Bloß wie?
Dazu müssen wir uns dieses Gefühl Angst erst einmal näher ansehen. Unterschieden wird zwischen der gesunden und der krank und unglücklich machenden Angst. Die gesunde Angst wurzelt tief in unserem Selbsterhaltungstrieb, warnt uns vor Gefahr hinter den Büschen (früher) oder vor rücksichtslosen Autofahrern (heute). Sie macht unsere Sinne wach und löst eine ganze Armada biochemischer Reaktionen aus, die dafür sorgen, dass wir bereit sind zu Flucht, Kampf, tja, oder Friedensschluss (letzteres wurde allzeit eher vernachlässigt, leider).
Meist ist Angst ein falscher Alarm
Die wirklich ungesunde Angst spielt sich allein in unseren Köpfen ab. Denn nicht die Realität macht Angst, sondern unsere Vorstellung davon. Die alten Inder sagen, sie entstehe aus dem Herausfallen des Menschen aus dem universellen Einssein. Diese Abtrennung, diese Dualität von Mensch und Gott oder Universum, erzeuge Unsicherheit und Angst – vor dem, was kommen könnte, vor ungerechter Beurteilung, vor dem Verlassenwerden, vor dem krank werden … Alles Dinge, die vielleicht niemals eintreten. Oder vielleicht treten sie, ist die Angst groß genug, genau deshalb ein: als eine sich selbst erfüllende Prophezeiung. Besser macht diese Angst jedenfalls gar nichts.
Natürlich sind über dieses Thema schon ganze Bibliotheken geschrieben worden. Ich möchte hier einfach meine eigenen – derzeitigen – Gedanken dazu formulieren. Denn natürlich habe ich Angst: Die Kontrollen waren alle super, aber dieser eine Tumormarker ist etwas zu hoch. Gynäkologe, Onkologe, Komplementärarzt, alle winken ab. Aber da ist sie, die kleine, hässliche schwarze Angst und bleckt die Zähne. Und vermiest mir meine Tage bis zur nächsten Kontrolle – wenn der Tumormarker am Ende wieder gefallen ist … Weil ich aber diese Angst besiegen will, beschäftige ich mich damit. Ich renne nicht davon, denn ich weiß, das nützt nichts. Ich muss ihr begegnen – wie Jim Knopf dem Scheinriesen. Den es tatsächlich gibt, aber viel, viel kleiner als gedacht.
Gerne lese und höre ich den amerikanischen Neuropsychologen und Bestsellerautor Rick Hanson. Ihn habe ich tatsächlich mal über Internetseiten der Uni Freiburg gefunden. Seine Botschaft: Mit der Art, wie wir die Welt sehen, beeinflussen wir physisch unser Gehirn, die Schaltzentrale unseres Körpers. Neuroplastizität nennt sich so etwas. Mal angenommen, man ist ein eher ängstlicher Typ. Dann passiert noch etwas in unserem Leben, was uns Angst macht – eine ungute Situation im Elternhaus, eine Krankheit. Das Gehirn wird nun für Angst sensibilisiert, die Angstschwelle wird herabgesetzt.
Steinchen für schöne Momente
Was tun? Nach Rick Hanson sind es Erfahrungen, die das Gehirn buchstäblich verändern. Seien wir deshalb achtsam und nehmen die guten Dinge im Leben besonders intensiv wahr: Wenn wir etwas geschenkt bekommen, sich jemand nett um uns kümmert, die Sonne scheint … Man sagt, wenn Du die Minuten wahrnimmst, kümmern sich die Jahre um sich selbst! Ein Trick, unsere Aufmerksamkeit besonders auf das Gute und Schöne zu richten (das Schlechte sehen wir sowieso), ist, am Tag für jeden schönen Moment ein Steinchen in die Jackentasche zu tun. Wenn man am Abend nachzählt, sind es meist mehr, als man gedacht hätte. Das ist schon mal ein erster Schritt gegen Angst und Unsicherheit. Denn JETZT ist es schön. Die Vergangenheit ist vorbei, und die Zukunft hat nun einmal noch nicht begonnen – sagen die weisen Buddhisten. Wir können nicht wissen, wie die Zukunft wird – warum also sich fürchten?
Sport und Entspannung tragen ebenfalls dazu bei, sich gegen Angst besser zu rüsten. Und gute soziale Beziehungen! Rick Hanson sagt: „Der Geist ist eine gefährliche Gegend, geh’ dort niemals alleine hin.“ Das hat ein bisschen was von den alten Indern: Raus aus der Separation, rein in den Kontakt: mit anderen Menschen – und mit sich selbst. Meditation ist ein Weg, an unsere eigene, innere Kraftquelle zu gelangen.
In jedem Falle mahnt Hanson: „Fürchte dich nicht davor, dich zu fürchten. Fühle die Angst, versuche sie zu verstehen, gehe mit ihr um – und lasse dich nicht von ihr überwältigen und kontrollieren.“ Jeder hat Angst. Man muss sich sicher nicht dafür schämen.
Angst ist wie skifahren
Mit der Angst umgehen – die amerikanische Soziologin, Autorin und Lebensberaterin Martha Beck hat dafür sehr schöne Bilder gefunden. Es sei so ein bisschen wie skifahren: Man lehnt sich nämlich immer in Fahrtrichtung – Richtung Abhang! Man fährt los und genießt es – das kann ich als passionierte Skifahrerin bestätigen! „Wenn du in deine Angst hineinfällst, wirst du gehalten“, behauptet sie. Und ich muss sagen, auch das kann ich bestätigen.
Als ich während meiner (wirklich harten) Chemotherapie einmal alleine glatzköpfig und von Übelkeit geplagt zuhause saß, kam das Elend über mich und ich heulte und schrie vor – seelischem – Schmerz, ja vor Todesangst. Es war mir völlig egal, ob das die Nachbarn hören oder nicht, es war mir alles egal. Da klingelte das Telefon. Ich schrie weiter, nein, da gehe ich bestimmt nicht dran … Und das Telefon klingelte und klingelte und klingelte. Hörte auf und fing wieder an. Bis ich schluchzend den Hörer abnahm. Eine Kollegin und gute Freundin. Sie wusste selbst nicht, warum sie es so stur hat klingeln lassen, gar ein zweites Mal anrief. Sie ließ im Büro alles stehen und liegen und kam. Wir gingen spazieren, redeten – ach, und danach sah die Welt wieder völlig anders aus.
Nach der zweiten Diagnose, Metastasen in beiden Eierstöcken und zu allem Überfluss noch in meinem Bauchfell, war ich schier starr vor Angst. Todesangst. Metastasierter Brustkrebs, das ist doch der Anfang vom Ende … An dem Abend, mein Gynäkologe hatte mir die Schreckensbotschaft per Telefon mitgeteilt, schrieb ich einer Freundin, die kurz zuvor nach dem histologischen Befund der OP gefragt hatte, eine SMS. Prompt rief sie an. Eine Stunde telefonierten wir, weinten zusammen, suchten nach einem Weg, erst einmal mit dieser Nachricht umzugehen. Ich sprach noch mit einer weiteren, meiner besten, Freundin, auch hier war die Verzweiflung noch groß – aber sie trug sie tapfer mit, obwohl kurz zuvor ihre geliebte Mutter gestorben war.
Ein transatlantisches Gespräch mit einem ganz besonderen Freund brachte an dem Abend schon eine kleine Wende. Sagen wir, ich konnte mit Hilfe meiner Freunde ein bisschen vom Abgrund zurückweichen. Und mich so sammeln, dass ich vor meine Familie treten konnte, meinen Mann und meine damals 14-jährige Tochter. Noch einen Tag später traf ich mich mit einem befreundeten Arzt. Was für eine intensive Begegnung das war, der viele weitere Gespräche und sehr besondere (Akupunktur-)Behandlungen folgten. Bald war ich wieder stabil, ja, es ging mir sogar richtig gut. Die Chemo vertrug ich hervorragend, die Blutwerte waren gut. Im Nachhinein empfinde ich das als ein richtiges Wunder.
Angst in Lebenskraft verwandeln
Und ich wusste, was ich zu tun hatte. Nach der ersten Diagnose bin ich einer Ärztin gefolgt, die sagte: „Frau Kübler, die Heilung beginnt im Kopf“. Nach der zweiten Diagnose bin ich dem befreundeten Arzt gefolgt, der sagte: „Bettina, die Heilung liegt in Deinem Herzen“. Habe mich Schamanen angeschlossen und auf vielen Reisen in mein Innerstes unglaublich viel Mut und Zuversicht geschöpft – echte Waffen gegen die Angst.
Schließen möchte ich mit einem Zitat der Schamanin Lumira, die ich „zufällig“ an einem Ayurveda-Wochenende kennengelernt und daraufhin ein denkwürdiges Seminar bei ihr besucht habe. Wie ich auch in meinem Buch (hier im Kapitel „Heilen“) schrieb, bin ich ihr nicht in allem gefolgt, aber in vielem. Was auch für sie völlig in Ordnung ist: „Ich sage euch, was ich weiß“, betonte sie, „ob ihr das für euch annehmt, ist allein eure Sache.“ Denn in ihrer „Philosophie“ ist jeder sein eigener Schamane. Ihrer Sichtweise von Angst kann ich mich jedoch hundertprozentig anschließen, genauso ist es mir ergangen:
„Keine Emotion verhindert ein glückliches, freies Leben so wie die Angst. Doch sie birgt auch ein enormes Energiepotenzial in sich. Wenn wir es schaffen, unsere Angst zu verstehen, lässt sie sich transformieren, so dass wir ihre gewaltige Kraft für unser Leben nutzbar machen können.“
Liebe Bettina,
dazu fällt mir ein Gedicht ein von Hilde Domin:
„Federn lassen und dennoch schweben- das ist das Geheimnis des Lebens“
herzlichst
Karin