(Blog) Intelligente Zellen, Weisheit und Gedächtnis des Körpers, gesunde Bewegung, sich in die Musik hineinfallen lassen – diese Gedanken zusammengemixt ergibt: Lasst uns mehr tanzen! Ich habe schon immer getanzt – Ballett, Jazztanz, 35 Jahre Steptanz. Dann fürs Chorsingen aufgehört (geht halt nicht alles). Nun habe ich zum Tanzen zurückgefunden und staune, wieviel es mit dem Leben zu tun hat, mit Glück und Gesundheit.
Ein Abend in Soest. Im Veranstaltungskalender war ich auf einen Tanzabend mit der Meditations- und Tanzlehrerin Monjaipur aufmerksam geworden. Kurzentschlossen ging ich hin- und hatte ein echtes Erweckungserlebnis. Die zwölf Teilnehmer trafen sich in einem wunderschönen Raum im Café Paradies (!). Monjaipur erklärte, jeder möge für sich allein tanzen und mit dem Körper die Gefühle ausdrücken, die die Musik, die sie selbst auflegen würde, in uns hervorruft. Sie dimmte das Licht, Kerzenlichter spiegelten sich in den Fenstern.
Dann legte die ungewöhnliche DJ los: Opern-Arien folgten auf Techno-Sounds, Blues wechselte sich mit Rock, Pop und Folk ab. All diese Musikstile transportierten Gefühle – Sehnsucht, Freude, Melancholie bis hin zu knallharter Aggression. Obwohl ich eigentlich müde war, habe ich zwei Stunden durchgetanzt, bin in der Musik aufgegangen. Bilder und Geschichten erschienen mir in Kopf und Herz, die ich mühelos in Bewegungen umsetzen und „aus-tanzen“ konnte. Wie das aussah, war mir total egal, wie den anderen auch (also in einer normalen Disco würde ich mich das nicht trauen). Am Ende war ich nassgeschwitzt – und durch und durch glücklich. Frei, im Wortsinn erleichtert.
Tanzstunde auf Krankenschein
Einige Tage später erzählte ich meinem (besonderen) Onkologen davon. Er hob die Schultern, lächelte und sagte: „Da rede ich manchmal stundenlang mit Patienten und versuche, seelischen Konflikten auf die Spur zu kommen – dabei sollte ich sie vielleicht einfach mal zum Tanzen schicken!“
Genau, Tanzstunde auf Krankenschein – das wär’s doch. Der Fachverlag „Gesundheitswissen“ zählt im Internet auf, welche medizinischen Auswirkungen das Tanzen hat:
- Erhöhung der Zahl der Killerzellen und damit Stärkung des Immunsystems
- Vermehrte Ausschüttung von Serotonin und Endorphinen für mehr Entspannung, Kreativität und Glücksgefühl
- Steigerung der Gedächtnisleistung
- Günstiger Einfluss auf Schmerzen
- Bessere Beweglichkeit von Wirbelsäule, Sehnen und Bändern
- Vermehrte Aufnahme von Sauerstoff (den Krebszellen hassen wie die Pest)
… um nur einige Beispiele zu nennen.
Das Nichts modellieren
Heller Ballettsaal des Saarländischen Staatstheaters in Saarbrücken. Workshop für Jedermann bei dem jungen italienischen Ensemblemitglied Federico Longo. Der junge, rotblonde Mann aus Mailand strahlt, als ob es nichts Wunderbareres gäbe, als eine Handvoll begeisterte, aber (zumindest, was mich angeht) eher mittelmäßig begabte Schülerinnen zu unterrichten. Es folgten extrem auf- und anregende 90 Minuten nach einem Prinzip des berühmten Tänzers und Choreografen William Forsythe, das Federico zum Schluss so zusammenfasste:
„Tanzen bedeutet, den Raum, das Nichts, zu modellieren. Sich als Tänzer nach einigen vorgegebenen Prinzipien eigene, kleine Choreografien auszudenken, um sie dann wieder aufzubrechen und mit Versatzstücken der Bewegungsfolgen anderer Tänzer für sich neu zusammenzusetzen. Wenn dann alle Tänzer ihr Stück, das ein Spiegel der Stücke aller Tänzer ist, gleichzeitig zeigen, entsteht ein harmonisches Ganzes. Die Tänzer sind sich dieses Gesamteindrucks völlig unbewusst, er wird nur von einem Außenstehenden wahrgenommen.“
Wow. Ich dachte sofort, das ist ja eine ganze Lebensphilosophie, die mich an vieles erinnert, was ich von den fernöstlichen Philosophien, aber auch von meiner Arbeit mit Schamanen kenne.
Tanzen, verstehen, glücklich sein
Die Prinzipien, nachdem sich unsere kleinen Choreografien richten sollten, lauteten: klare Ausrichtung (auf Ecken, Mitte von Wänden, Decke, Boden), Wiederholungen, Stopps und Rhythmuswechsel. Nun setze ich diese Prinzipien einmal forsch mit „Lebensprinzipien“ oder „Naturgesetzen“ in Beziehung. Im Daoismus beispielsweise heißt es, wir mögen mit dem „Strom des Lebens“ schwimmen. Das bedeutet nicht, bequemer Mitläufer zu sein. Vielmehr gibt es eine unsere Vorstellungskraft übersteigende, liebende Kraft, die uns begleitet und uns zu mehr Gesundheit und Glück verhilft – wenn wir sie denn wahrnehmen und nicht gegen sie (und damit gegen uns selbst) arbeiten. Schließlich hängt alles miteinander zusammen – die Ayurveden kennen das Mantra „Aham Brahmasmi“, was soviel heißt wie „Ich bin alles“ oder „Ich bin das Universum“. Ein schamanischer Gruß lautet „Mitakuya Oyacin“, „Alles gehört zusammen“ oder „Ich grüße meine Verwandten“, wobei damit nicht nur Mutter und Onkel gemeint sind, sondern alles: von Steinen über Pflanzen bis hin zu Tieren und allen Menschen auf der Welt.
Als Tänzer in diesem Workshop haben wir genau diesem Gedanken Ausdruck verliehen: Wir hatten uns zwar eigene Schrittfolgen ausgedacht, aber auch Bewegungen von einander übernommen, wurden sozusagen „verwandt“. Im gemeinsamen Tanz wurde dem Zuschauer Federico dieser Gesamtzusammenhang deutlich, was ihn selbst ganz aus dem Häuschen brachte.
Was will ich nun damit sagen? Warum beschäftigt mich das so intensiv, gerade mich als (Krebs-)Patientin? Also zum einen ist es einfach das Mysterium des Lebens, das ich zu ergründen versuche, damit ich mich nicht in die entgegengesetzte Richtung bewege, sondern die in jedem Moment für mich richtige Ausrichtung einnehme. Tue ich das nicht, verplempere ich Energie, die ich etwa für meine Gesundheit brauche. Dabei nähere ich mich diesem großen Geheimnis von verschiedenen Seiten – heute übers Tanzen, das mir genauso die Augen geöffnet hat wie vor einiger Zeit eine Gesangsstunde. Die Kunst, in welcher Ausprägung auch immer, ist eine gute Möglichkeit einer schrittweisen Annäherung an diese … große Kraft, vielleicht würden sie die alten Chinesen das „Dao“ nennen.
Ich wünsche mir die Unterstützung dieser großen Kraft, damit mein Leben gut gelingt. In dem wunderbaren Tanzworkshop bei Federico konnte ich sie mit allen Sinnen wahrnehmen – der erste Schritt. Ich stelle mir vor, dass mir diese Kraft, wenn ich sie erst einmal wahrnehme und ich mich – zum Beispiel beim Tanzen – auf sie „einschwinge“, dabei helfen kann, ein gutes, erfülltes Leben zu führen (ob mit oder ohne Krebsdiagnose). Dass ich meine Berufung erkenne und in die Tat umsetze, um die Welt wenigstens im Klitzekleinen ein bisschen besser zu machen. Und, ganz einfach: glücklich zu sein.
Foto:
Das SST-Ballett in der Produktion Konjetzky_Barros (SST/Bettina Stöß – danke ans SST, dass ich das Bild honorarfrei verwenden darf!). Übrigens: Der rotblonde Tänzer ganz rechts ist Federico Longo :-).
Links:
Workshops des SST-Balletts für Jedermann