Der beherzte Patient

Vom gesunden Umgang mit Krankheit

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Qigong ist ein Dialog mit sich selbst

(Blog) Sie ist Fachärztin für Anästhesie, und sie ist von den segensreichen Wirkungen des Qigong durch und durch überzeugt. Deshalb ist Dr. med. Ingrid Reuther während meiner eigenen Ausbildung in dieser jahrtausendealten chinesischen Bewegungsmeditation bei der Medizinischen Gesellschaft für Qigong Yangsheng in Bonn auch meine Lieblingslehrerin gewesen. Zudem betreibt die Ärztin in Bad Neuenahr-Ahrweiler eine Praxis für Traditionelle Chinesische Medizin, Akupunktur und Qigong. Mit dem „Beherzten Patienten“ sprach sie über das „Wegüben“ von Beschwerden, die Bedeutung von Wohlbefinden für die Gesundheit und die heilsame Kraft der Veränderung.

„Der beherzte Patient“: Wie kamst Du als Fachärztin für Anästhesie zu Qigong?

Dr. Ingrid Reuther: Das ist eine lange Geschichte! Eigentlich wollte ich Internistin oder Neurologin werden, habe aber, damals mit einem zweijährigen Kind, in der Anästhesie eine Stelle bekommen. Diese Stelle war auf neun Monate befristet, und ich wurde wieder schwanger. Dann war ich arbeitslos und habe in dieser Zeit eine Psychotherapie-Ausbildung gemacht: Ich wollte mit Menschen arbeiten, etwas verändern. Dann sagte eines Tages jemand in der Supervision: Mach‘ doch Akupunktur. Ich war völlig überrascht – und als ich nach Hause kam, stand mein Mann, ebenfalls Arzt, mit einem Flugblatt über Akupunktur in der Tür.

Völlig unabhängig von der Supervision?

Ja, völlig unabhängig davon. So ist das in meinem Leben eigentlich immer gelaufen – die Dinge haben sich ganz natürlich entwickelt. Und parallel zu meiner Akupunkturausbildung habe ich auch bald mit Qigong angefangen. Gleichzeitig habe ich wieder eine halbe Stelle in der Anästhesie bekommen – und gefragt, ob ich denn auch akupunktieren dürfte. Man hat mir einen Raum zur Verfügung gestellt, und nachdem ich erstmal die Schwestern behandelt hatte, kamen die Patienten dran. Das wurde so viel, dass ich mich letztendlich für die Akupunktur entschieden habe. Dann habe ich sogar einen Kassensitz bekommen und die Erlaubnis für Psychosomatik. Spätestens dann wusste ich: Da geht’s lang.

Und Qigong …

… war die logische Konsequenz. 1989, ein Jahr, nachdem ich mit Akupunktur angefangen hatte, fiel mir ein Buch von Professor Jiao Guorui in die Hände, einem Arzt für Traditionelle Chinesische Medizin, der sich auf Qigong spezialisiert hatte. Ich las das und dachte, das will ich mal unterrichten. Und dann kam genau dieser Professor nach Bonn, und ich wohnte in Bonn. Und dann habe ich acht Jahre bei Professor Jiao Qigong gelernt – was für eine Chance!

Und dann hast Du sogar über Qigong promoviert.

Ja, und es war gar nicht so einfach, einen Doktorvater zu finden. Über einige Ecken bin ich dann an der Uni Witten-Herdecke gelandet, und zwar bei einem Geisteswissenschaftler, der sich mit Musiktherapien beschäftigte. Er arbeitete mit Methoden, die ich bei meinem Thema „Qigong und Asthma“ wunderbar anwenden konnte. Das Ergebnis: Bei Asthmatikern, die nur den Kurs besucht und ansonsten nicht geübt haben, ist überwiegend alles beim Alten geblieben. Bei denjenigen, die regelmäßig Qigong geübt haben – also im Kurs und täglich zu Hause -, konnten wir fast durchgängig eine bis zu zwanzigprozentige Verbesserung der Lungenfunktion messen.

Sind diese Ergebnisse auf Interesse gestoßen?

Oh ja, ich bin zur Vortragsreisenden geworden! 1997 habe ich sogar meine Arbeit auf dem Qigong-Weltkongress in San Franzisco vorstellen können. Das war sehr aufregend, ich habe dort viele spannende Leute kennengelernt. Eigentlich hätten sich die Krankenkassen besonders dafür interessieren müssen. Wir haben ihnen vorgerechnet, dass sie pro Patient 2000 Mark pro Jahr sparen können: Medikamente, Notarzt, Fehltage … Aber es kam keine Reaktion.

„Qigong ist die schöne Schwester der Akupunktur“

Zum Verhältnis von Qigong und Akupunktur – beide Methoden gehören ja wie die Naturmedizin, die Ernährungslehre und die Tuina-Massage zu den fünf Säulen der Chinesischen Medizin. Auf welche Weise ergänzen sie sich?

Qigong ist die schöne Schwester der Akupunktur. Akupunktur ist die intelligente Schwester. Die Schöne tut nicht weh, sie ist weicher, poetischer, fließender und vor allem der aktive Part. Qigong ist nämlich etwas, was die Patienten selbst für ihre Gesundheit tun können.

Wie würdest Du Qigong erklären?

Das kommt ein bisschen darauf an, wer fragt. Einem Schulmediziner würde ich sagen: Qigong ist eine Bewegungstherapie, eine Entspannungsmethode, eine Atemmethode, hat Elemente des autogenen Trainings, arbeitet mit Visualisierung und Imagination, also unserer Vorstellungskraft. Und sie hat eine regulierende Wirkung auf unsere Psyche. Das sind alles Begriffe aus komplementären Therapieformen, die ein Mediziner versteht.

Und wenn jemand fragt, der sich in der Komplementärmedizin schon ein bisschen auskennt, vielleicht schon einmal eine Akupunkturbehandlung hatte?

Alles, was man mit Akupunktur erreichen kann, kann man auch mit Qigong erreichen. Am Anfang meiner Laufbahn habe ich mich selbst viel akupunktiert – aber das übe ich heute einfach weg. Ob Beschwerden im Nacken, mit den Knien oder Füßen, mit den Augen …

Wie wirkt Qigong?

Qigong zu üben, fühlt sich einfach gut an. Es wirkt über ein Wohlbefinden – und man weiß ja heute, welche Auswirkungen Wohlbefinden auf unseren Körper hat. Die günstigen Veränderungen bei Botenstoffen, Enzymen, Endorphinen und so weiter lassen sich ja messen, dazu gibt es jede Menge Forschung. Das Wichtigste ist, dass man sich selbst in ein Wohlbefinden üben kann, seelisch wie körperlich.

Das heißt, dass ich als Patientin aus eigener Kraft eine Veränderung herbeiführen kann …

Ja, und ich arbeite mit Veränderung. Das bedeutet aber auch, dass meine Patienten dazu bereit sein müssen. Meine Praxis liegt außerhalb des Zentrums auf dem Berg, man muss mich schon ein bisschen suchen. Und diejenigen, die schließlich bei mir ankommen, wollen auch etwas verändern, sie wissen nur noch nicht, was und wie. Akupunktur ist da erst einmal der Türöffner. Dann geht es weiter mit Psycho-Hygiene, also der Frage, wie könnte ich mein Leben schöner machen. Hier ist Qigong ein wichtiger Bestandteil. Na ja, und wenn jemand den Begriff Qigong seltsam findet, dann nenne ich das eben Rückenübungen …

Negative Glaubenssätze in positive verwandeln

Inwieweit spielt die Haltung, die Einstellung des Patienten eine Rolle?

Das spielt eine große Rolle! Oft wird ein gesundheitliches Problem von negativen Glaubenssätzen begleitet oder verschlimmert. Einmal kam ein Patient mit einer Röntgenaufnahme von seinem Rücken zu mir und meinte, hier sei ein Bild von seinem kaputten Rücken. Solche Sätze tragen nicht zur Gesundung bei! Ich möchte den Patienten helfen, ihren inneren Dialog verändern, und Qigong ist ein Dialog mit sich selbst. Es ist ein Dialog mit der eigenen Lebenskraft, aber auch mit einer höheren Instanz außerhalb von uns selbst.

Wie kann ich diese Verbindung herstellen?

Vor allem in der Natur. Wenn ich draußen übe, ist schon die frische Luft ein Medium, das mich mit meiner Umgebung verbindet. Dazu kommen Vogelgeräusche, Gerüche, Wolken, ein Regenbogen – es gibt ja auch Übungen, die so heißen. Und ich habe noch niemanden erlebt, der da nichts spürt, den das nicht berührt. Deshalb üben in Bad Neuenahr auf einer Wiese jeden Sommer im Juli und August manchmal bis zu vierzig Leute Qigong. Es ist ein kostenloses Angebot, es gibt außer mir noch andere, die anleiten. Und zum Abschluss gibt es ein wunderbares Fest.

Qigong ist also auch eine Art Selbsterfahrung.

Ja. Und es verbindet mich auch mit den Übenden. Viele sind auch meine Patienten, und wenn ich im Sommer mit ihnen gemeinsam auf der Wiese übe, macht mich das nahbarer, und wir können besser zusammen arbeiten.

Wie finde ich einen guten Qigong-Lehrer?

Mein Lehrer, Professor Jiao, hat gesagt, man muss einmal hingehen und gucken, wie sich der Lehrer bewegt. Denn was er innen kann, ist ihm auf den Körper geschrieben. Und das stimmt wirklich, auch der Laie kann das sehen. Außerdem sollte der Lehrer gute didaktische Fähigkeiten haben, und natürlich sollte die Chemie stimmen.

Hast Du heute das Gefühl, dass die positiven Wirkungen des Qigong langsam auch im schulmedizinischen Bereich wahrgenommen werden?

Ja, glücklicherweise. Kürzlich wurde ich sogar zu einem „Brust-Tag“ an der Uniklinik Köln eingeladen, um mit den Teilnehmerinnen Qigong zu üben. Es gibt ja inzwischen auch zahlreiche Studien, die die Wirksamkeit von Qigong beispielsweise bei Krebsbehandlungen belegen: Das Blutbild ist besser, die Patienten haben eine bessere Lebensqualität, leiden weniger an Fatigue, dieser chronischen Müdigkeit. Man kann auch mit Sport viel erreichen, nur ist nicht jeder zu jedem Zeitpunkt dazu in der Lage. Aber Qigong geht immer – selbst in Gedanken im Bett.

Mit sechzig so gesund wie nie zuvor

Was hat Dich bei Qigong am meisten überrascht?

Ich bin jetzt 28 Jahre dabei, und es überrascht mich immer wieder, wie wohlig es in mir sein kann. Ich bin jetzt sechzig und gesünder als mit dreißig. Verrückt, oder? Infekte, Allergien, Rückenschmerzen, Schlafstörungen – all das habe ich schon lange nicht mehr. Ich kann viel arbeiten, bin körperlich und seelisch viel belastbarer als früher. Und beweglicher! Als ich Teenager war, meinte mein Vater mal zu mir, ich sei ein steifer Bock. Und das stimmte auch, ich hing mit den Fingern zwanzig Zentimeter über dem Boden! Das ist heute völlig anders. Ich kann auch mit dem Rucksack lange Strecken auf dem Jakobsweg gehen. All das führe ich auf Qigong zurück. Und ich weiß natürlich auch nicht, welche Krankheiten ich nicht bekommen habe! Das erfüllt mich mit großer Dankbarkeit. Und es eröffnet auch eine spirituelle Dimension, die für mich zum Gesundsein dazugehört.

1 Kommentar Schreibe einen Kommentar

  1. Es verblüfft mich immer wieder, wie sich im Leben vieles wie zufällig von alleine einstellt und fügt…

    Doch im Grunde genommen sind es keine Zufälle, wenn man überlegt, dass alles ein großes Ganzes ist, und sich lediglich die Puzzlestücke von selbst an die rechte Stelle rücken. Man muss nur bereit sein, es zuzulassen.

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