Der beherzte Patient

Vom gesunden Umgang mit Krankheit

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Auch eine Medizin: Bewegungstherapie

(Blog) Er ist felsenfest davon überzeugt, dass ein an Krebs erkrankter Mensch, begleitend zur medizinischen Therapie, (fast) nichts Besseres tun kann, als sich zu bewegen: der habilitierte Sportwissenschaftler Dr. Freerk Baumann. Vor allem individualisierte Bewegungstherapien helfen, so das Ergebnis seiner Studien, gegen die unter der Behandlung typische Fatigue (Müdigkeit) und zahlreiche andere Nebenwirkungen.

Ganz allgemein hebt Bewegung, an die persönliche Lust und Leistungsfähigkeit angepasst, die Lebensqualität, wirkt sich sogar positiv auf die Psyche aus. Kennengelernt habe ich Dr. Freerk Baumann, engagierter Leiter der Arbeitsgemeinschaft Onkologische Bewegungsmedizin am Centrum für Integrierte Onkologie an der Uniklinik Köln, bei einem Vortrag, den er auf Einladung des Vereins „Miteinander gegen Krebs“ in Homburg/Saar hielt. Er vermittelte seine Erkenntnisse so leidenschaftlich-überzeugend (und ohne erhobenen Zeigefinger!), dass ich seither mein Bewegungsprogramm auch wieder ernster nehme.

Was Sie schon länger wissen, dringt offenbar langsam, aber sicher in das öffentliche Bewusstsein vor …

Ja, das stimmt. Anfang März gab es beispielsweise im ‚Ärzteblatt‘, einer Fachzeitung, die praktisch jeder Arzt bekommt, einen Artikel zu ‚Bewegungstherapie in der Onkologie‘. Und es wird höchste Zeit: Die Fachdatenbank ‚Pubmed‘ zählt seit 2011 nicht weniger als 7.000 Veröffentlichungen zum Thema ‚Bewegung und Krebs‘. Eins ist klar: Sport ist kein Ersatz, sondern eine sinnvolle Ergänzung medizinischer Therapien. Aber ich möchte kurz den Kölner Hämato-/Onkologen Professor Dr. Michael Hallek zitieren: „Eine gezielte Bewegungstherapie wirkt bei onkologischen Patienten so gut, dass es als Medikament ein Blockbuster wäre.“

Aber die Mühlen mahlen langsam …

Ja, leider. Aber wir lassen uns nicht entmutigen, im Gegenteil. Der Stein ist schon ins Rollen gekommen. Zum Beispiel ist die Sporttherapie auf dem Weg in den Heilmittelkatalog der Krankenkassen. Und wir sind dabei, deutschlandweit ein Versorgungsnetzwerk für Bewegungstherapie aufzubauen. Grundsätzlich ist jede Art der Bewegung gut. Aber wir haben herausgefunden, dass ganz gezielte Bewegungsmaßnahmen noch größere Erfolge erzielen können. Wichtig ist auch zu wissen, dass Krebspatienten nicht viel falsch machen können, wenn sie sich bewegen. Gesunde Menschen übrigens auch nicht! Einer meiner Lieblingssprüche stammt von Joachim Ringelnatz: „Von der Wiege bis zur Urne turne, turne, turne!“.

„Bei Fatigue ist Bewegung wirksamer als ein Medikament!“

Aber ich sollte mich als Patientin auch nicht überanstrengen, oder?

Jein. Man sollte sein Bewegungsprogramm aufbauen. Wobei die Anpassungsprozesse ziemlich schnell gehen, gerade beim Ausdauersport. Sagen wir, Sie machen einen Wanderurlaub. Am ersten und zweiten Tag merken sie es ziemlich, haben vielleicht Muskelkater. Aber am dritten Tag geht’s schon viel besser! Aber auch im Alltag: Jeder Schritt, jede Stufe zählt! Und der Witz ist ja: Wenn ich müde auf dem Sofa sitze und mir doch einen Ruck gebe und an die frische Luft gehe, verfliegt ja die Müdigkeit. Und wir haben in unseren Studien nachweisen können: Bei Fatigue ist Bewegung wirksamer als ein Medikament!

Wenn da nicht der innere Schweinehund wäre …

Ja, es ist nicht einfach, die Menschen in Bewegung zu bringen – obwohl Bewegung in unseren Genen steckt! Ich nenne dann gerne ein paar ziemlich überzeugende Zahlen: Nach sieben Tagen im Bett haben Sie schon einen Kraftverlust von 20 bis 30 Prozent – und brauchen vier bis sechs Wochen intensives Krafttraining, um das wieder auszugleichen! Nach neun Tagen nimmt das Herzvolumen um zehn Prozent ab, und die Sauerstoff-Aufnahme sogar um 21 Prozent! Unser Immunsystem ist geschwächt, die Zahl der natürlichen Killerzellen nimmt nachweislich ab – und so weiter. Sportliche Aktivität hat dementsprechend genau den entgegengesetzten Effekt: Sie stärkt Körper und Psyche, was gerade für Krebspatienten besonders wichtig ist.

Wieviel sollte ich mich bewegen, um meine Gesundheit zu fördern?

150 Minuten moderate Aktivität pro Woche ist schon mal ziemlich gut. Oder 75 Minuten anstrengende Aktivität. Oder gehen Sie eine Stunde täglich zügig spazieren – vielleicht legen Sie sich einen Hund zu? Und führen ihn tatsächlich spazieren und fahren nicht wie mein Nachbar mit dem Auto nebenher! 10.000 Schritte pro Tag sind ein gutes Ziel.

Welchen Sport treiben Sie eigentlich?

Zurzeit: Wandern, Fußball, Mountainbike, Laufen

Und wie überwinden Sie Ihren inneren Schweinehund? Gibt es einen Trick?

Sozialer Druck. Sich frühzeitig verabreden, eine WhatsApp-Gruppe gründen. Dann: den Sport treiben, an dem man Freude hat.

Brustkrebspatientinnen unter Chemo hilft Krafttraining am besten

Nachdem wir festgestellt haben, wie wichtig Bewegung ganz allgemein auch für Krebspatienten ist, schauen wir etwas genauer hin. Sie forschen vor allem an gezielter Bewegungstherapie. Was bedeutet das?

Das bedeutet, dass wir das Bewegungsprogramm genau auf den Patienten oder die Patientin zuschneiden. Dafür gibt es erst einmal eine Anamnese, und wir fragen etwa: Wie bewegen Sie sich? Welche Krebsart haben Sie? Unter welchen Nebenwirkungen leiden Sie bzw. welche Nebenwirkungen könnten entstehen? Es gibt zum Beispiel unterschiedliche bewegungstherapeutische Programme für Brustkrebspatientinnen mit Osteoporose und solchen mit Fatigue. In einer Studie wurde untersucht, welche Wirkung Krafttraining, Ausdauertraining und Krankengymnastik haben. Bei Patientinnen unter Chemo lag eindeutig das Krafttraining vorn – hier war die Zahl der Chemo-Abschlüsse, ohne dass die Behandlung wegen starker Nebenwirkungen unterbrochen oder niedriger dosiert werden musste, höher als bei anderen Bewegungsarten oder bei keinem speziellen Bewegungsprogramm. Und nicht nur sind die Patientinnen weniger müde, auch die kognitiven Funktionen des Gehirns, denen die Chemo häufig zusetzt, werden durch die Bewegung gestärkt.

Wie sieht das mit dem Lymphödem als Folge einer Brustkrebsbehandlung aus?

Früher hieß es immer, möglichst wenig bewegen. Heute wissen wir, das ist Unsinn. Sich nicht zu bewegen, kann die Situation sogar deutlich verschlimmern. Ob Wassertherapie, Schwimmen, sanftes Krafttraining oder Yoga – Hauptsache, die Pumpfunktion des Muskels wird trainiert. Übrigens zeigte keine unserer Probandinnen eine Verschlechterung unter dem von uns empfohlenen Bewegungsprogramm. Ein anderes Beispiel ist das Problem der Harninkontinenz bei Prostata-Patienten. Bei wöchentlich dreimaligem Schließmuskel- bzw. Beckenbodentraining waren neunzig Prozent der Probanden schon nach sechs Monaten wieder kontinent – im Gegensatz zu einem Jahr ohne Training. Hier ist allerdings das therapeutisch begleitete Training besonders wirksam.

Wenn die onkologische Bewegungstherapie gerade erst im Aufbau ist – wie finde ich einen entsprechenden Therapeuten?

 Das ist in der Tat schwierig. Es gibt Physiotherapeuten, die sich entsprechend – unter anderem bei uns – fortgebildet haben. Davor würde ich allerdings immer einen Belastungstest beim Arzt empfehlen. Unter medizinischer Therapie sollte er sich therapeutisch begleiten lassen.

Mit Bewegung wieder Vertrauen ins Leben gewinnen

Wie würden Sie die Vorteile von Bewegung für die Psyche beschreiben?

Die sind vielfältig. Kurz gesagt: Bewegung hebt die Stimmung, verhilft zu sozialen Kontakten und trägt dazu bei, wieder Vertrauen in seinen Körper zu gewinnen. Wir haben zum Beispiel mit einer Gruppe von Patienten große Wanderungen gemacht, darunter eine Alpenüberquerung. Die Teilnehmer wunderten sich ausnahmslos, wie leistungsfähig sie sind! Das macht stolz, die Patienten gewinnen wieder Vertrauen in sich – und in das Leben.

Mehr zu PD Dr. Freerk Baumann und seinem Forschungsgebiet:
https://innere1.uk-koeln.de/forschung/arbeitsgruppen-labore/ag-onkologische-bewegungsmedizin/

 

 

 

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